Beleidigungen, Verleumdungen, üble Nachrede: Pöbelseiten im Internet verunsichern Schüler, Eltern und Lehrer. Die Täter wähnen sich in der Anonymität. Aber sie sind aufzuspüren. Und der Ruf nach staatlichen Kontrollen steht schnell im Raum.
Von Michael Spehr
In der vermeintlichen Anonymität von Pöbelseiten im Internet wird gemobbt und diffamiertIn der vermeintlichen Anonymität von Pöbelseiten im Internet wird gemobbt und diffamiert
07. März 2011
Elena Schmidt aus der Klasse 9c ist die größte Schlampe der Schule. Sie schläft mit jedem Jungen der Oberstufe und ist dumm wie Brot.“ Dieses Pamphlet, das wir in der Tonalität drastisch entschärft haben, findet sich nicht etwa auf den Klowänden eines Gymnasiums, sondern öffentlich und für jedermann lesbar im Internet. Nach Bundesländern sortiert, sind auf der betreffenden Seite alle Schulen aufgeführt. Mit einem Mausklick landen Kinder und Jugendliche auf der eigenen Schulseite – und sehen die dort eingetragenen Pöbeleien.
Der Auftritt ist Facebook nachempfunden. In der oberen Eingabezeile der Pinwand wird man aufgefordert, seine „Neuigkeiten, Gerüchte und Lästereien“ einzutragen, es gibt wie bei Facebook einen „Gefällt mir“- Daumen, mit dem man andere Beiträge bewerten kann, und neuerdings die Möglichkeit, Fotos einzustellen. Das alles ist angeblich anonym, man benötigt nicht einmal eine Anmeldung. Und auf diese Anonymität verweist der Seitenbetreiber nachdrücklich: Man speichere keine IP-Adressen, beantworte keine Anfragen, auch nicht von Polizisten, Lehrern, Direktoren. „Ihr seid 100 Prozent anonym. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Lügner und will Euch Angst machen.“
Pöbelseiten wie diese sind derzeit das große Thema in Schulen und auf Elternabenden. Nach einer repräsentativen Befragung des Marktforschungsunternehmens Forsa sind 98 Prozent der deutschen Kinder und Jugendlichen im Alter von 10 bis 18 Jahren online im Netz, selbst bei den bis zu Zwölfjährigen sind es 96 Prozent. Drei Viertel von ihnen nutzen aktiv soziale Netzwerke. Die positiven Erfahrungen überwiegen. Aber ein Drittel der Jugendlichen beklagt sich über Belästigungen. Das müssen nicht besagte Pöbelseiten mit anonymem Zugriff sein, sondern das betrifft auch die sozialen Netzwerke wie Schüler- und Studi-VZ oder Facebook, wo man sich in der Regel mit seinem realen Namen anmeldet.
Technische Verfahren können den Zugang nicht unterbinden
So wundert kaum, dass Eltern das Internet für gefährlich halten. Wie kann man seine Kinder vor Belästigungen, „Schmutz und Schund“, Pornographie und sonstigen Übergriffen schützen? Der Ruf nach staatlichen Kontrollen steht schnell im Raum. Aber so einfach ist das Ganze nicht, wie die Debatte über das Sperren von Kinderpornographie-Seiten im Internet gezeigt hat. Technische Verfahren können nämlich den Zugang zu indizierten Seiten nicht unterbinden. Und in Fällen von Beleidigung oder übler Nachrede neue staatliche Eingriffe in grundgesetzlich garantierte Rechte wie Meinungs- oder Informationsfreiheit zu fordern wäre weder verhältnismäßig noch verfassungsrechtlich durchsetzbar.
Zum Thema
Auch die Idee, dass die Eltern das Heft selbst in die Hand nehmen und mit Schutz-Software den Zugriff auf bedenkliche Inhalte blockieren, führt kaum weiter. Bei diesen sogenannten „Kindersicherungen“ wird das Blaue vom Himmel versprochen: Sie schützten vor den Gefahren im Internet und verhinderten, dass Kinder auf Seiten gelangen, die nicht für sie bestimmt seien. Ein Muss für verantwortungsvolle Eltern, heißt es in der Werbung. Wer in diese Richtung denkt, findet schon auf der Ebene des Betriebssystems etliche Optionen in Verbindung mit den Benutzerkonten. Bei Windows 7 und dem aktuellen Mac OS X kann man mit Bordmitteln Kindersicherungen und Zeitkonten sowie Zugriffsbeschränkungen für einzelne Programme einrichten. Ferner bieten handelsübliche W-Lan-Router wie etwa die Fritzboxen von AVM eine rudimentäre Kindersicherung, die zwar nicht die Inhalte kontrolliert, aber die Zugriffszeiten für einzelne PCs. Andere Techniken implementieren Inhaltskontrollen im Router.
Und schließlich soll mit spezieller Kinderschutz-Software der Zugriff auf die dunklen Seiten des Netzes gesperrt werden. Diese Pakete greifen ins Betriebssystem und den Browser ein. Aber sämtliche Angebote funktionieren nicht perfekt, wie unlängst eine Vergleichsstudie der EU gezeigt hat. Sie blockieren erstens nur acht von zehn der für Kinder nicht geeigneten Seiten, vor allem Erotikangebote. Weniger „bildlastige“ Seiten werden kaum erfasst – und Inhalte mit besonders kindgerechten Angeboten fälschlich blockiert. Kaum ein Filter sei in der Lage, Inhalte in sozialen Netzwerken, Foren oder Blogs zu durchforsten, und beim Instant-Messaging sowie bei Chat-Anwendungen sei die Fehlerrate ebenfalls hoch. Aus eigenen Erfahrungen können wir ergänzen: Je tiefer ins Betriebssystem eingegriffen wird, desto wahrscheinlicher sind Störungen und Fehlfunktionen bei unbedenklichen Seiten oder Standardprogrammen.
Eher eine Beruhigung des elterlichen Gewissens
Kindersicherungen sind kein Allheilmittel, sondern eher eine Beruhigung des elterlichen Gewissens, ein trügerisches und lückenhaftes Versprechen von Sicherheit. Selbst wenn man zu Hause alle Rechner zu einer festen Burg aufgerüstet hat: Was sollte Kinder und Jugendliche daran hindern, bei Freunden und Bekannten das zu tun, was daheim nicht funktioniert? Und was ist mit den internetfähigen Smartphones der Kids, die als mobile Surf- und Chatstationen immer wichtiger werden? Nicht zuletzt zeigen solche Sperren, dass man seinem Kind in Sachen Medienkompetenz nicht eine Handbreit über den Weg traut. Ist das ein richtiges Signal?
Vernünftige Eltern werden nicht umhinkommen, mit ihren Kindern über sicheres Surfen und ein angemessenes Verhalten im Netz zu reden, auch über den Umgang mit persönlichen Daten und Bildern. Eltern sollten wissen, wofür sich ihre Kinder im Netz interessieren, und sie sollten der erste kompetente Ansprechpartner in allen Zweifelsfällen und bei Belästigungen sein. Meist braucht man den erhobenen Zeigefinger nicht, denn Kinder und Jugendliche sind in Sachen Netzkompetenz oft klüger, als ihre besorgten Mütter und Väter denken.
In solchen Gesprächen wird man dann auch auf die besagten Pöbelseiten und Belästigungen in sozialen Netzwerken zu sprechen kommen. Aufklärung an dieser Stelle betrifft zunächst die oben geschilderte Beschwörung der perfekten Anonymität im Netz, das ist quasi das Lebenselixier solcher Seiten, vor allem und gerade, wenn Politiker das Internet als „rechtsfreien Raum“ verteufeln. Das ist jedoch ein Irrglaube. Das Internet ist eben kein rechtsfreier Raum, sondern ein Medium. Pöbeleien und andere Übergriffe können strafbar sein, und diese Straftaten werden, sofern eine Seite in Deutschland aufrufbar ist oder Deutsche betroffen sind, nach deutschem Recht geahndet. Da gibt es kein Vertun.
Polizei muss Anhaltspunkten nachgehen
Wenn es durch Veröffentlichungen im Internet Anhaltspunkte auf Straftaten wie Verleumdung oder üble Nachrede gibt, sollten Eltern zur Polizei gehen und Anzeige erstatten, rät der Düsseldorfer Rechtsanwalt Udo Vetter. Die Polizei ist verpflichtet, solchen Anhaltspunkten nachzugehen, und sie wird es umso besser können, je konkreter die Verdachtsmomente gegen einzelne Personen sind. Hat beispielsweise jemand in der Clique, also vor anderen Klassenkameraden, mit seiner Schreiberei in einem Forum geprahlt und deuten weitere Indizien auf diesen einen Schüler hin, kann die Polizei aktiv werden. Und beispielsweise eine Hausdurchsuchung vornehmen, alle Computer des Haushalts beschlagnahmen und durch Sachverständige auswerten lassen. Spuren finden sich fast immer.
Oder die Polizei wird bei den Internet-Providern vorstellig, und das tut sie regelmäßig, schreibt Vetter in seinem www.lawblog.de: „Die Polizei fragt mittlerweile schon fast routinemäßig und inflationär Bestandsdaten ab, wenn sie eine Anzeige mit Internetbezug auf den Tisch bekommt. Um Auskunft zu erhalten, genügt ein einfaches Musterschreiben des Polizeibeamten, und die Auskunft wird, so jedenfalls meine Erfahrung, anstandslos erteilt.“ Liegt ein konkreter Anfangsverdacht nicht vor, ermitteln manche Eltern des Opfers auf eigene Faust, schildert Vetter. Sie melden sich unter Decknamen in dem betreffenden Netzwerk an und versuchen, dem Täter auf die Spur zu kommen oder ihm eine Falle zu stellen. Eine Strategie, die nach Vetters Erfahrung durchaus erfolgreich sein kann.
Noch einfacher wird die Sache mit einem Gerichtsbeschluss, „juristisch kein großes Ding“. So werden, schildert Vetter, „Provider und soziale Netzwerke zur Herausgabe aller Daten des Nutzers verpflichtet, die sich auf den Servern befinden. Hierzu gehören dann nicht nur die sogenannten Bestandsdaten (Benutzerkonto, Login-Daten), sondern auch alle Inhalte, die sich in den Mailboxen und auf Profilseiten befinden. Alle großen Anbieter arbeiten mit den deutschen Behörden zusammen, auch wenn sie (offiziell) gar keinen Sitz in Deutschland oder der EU haben. Wer also denkt, seine Daten bei ausländischen Diensten seien vor dem Zugriff deutscher Behörden geschützt, irrt. Ich habe noch nie erlebt, dass einer der Global Player einen deutschen Gerichtsbeschluss ignoriert oder sich ihm widersetzt hat.“
Die Pöbelseite hat ihren juristischen Sitz in Neuseeland
Von der versprochenen Anonymität bleibt also selbst bei ausländischen Diensten und ausländischen Internetauftritten nicht viel übrig. Die eingangs beschriebene Pöbelseite hat ihren juristischen Sitz in Neuseeland. Zugegeben: Dass die dortige Polizei im Rahmen des internationalen Rechtshilfeverfahrens deren Server beschlagnahmt, ist unwahrscheinlich. Aber man sollte sich nicht vom geographischen Hinweis des Impressums ins Bockshorn jagen lassen, meint Vetter. Denn die Seite ist durchgehend deutschsprachig, sie richtet sich ausschließlich an deutsche Schüler, und wer sagt denn, dass die Server tatsächlich in Neuseeland stehen? Wenn sich der Betreiber oder die Infrastruktur in Deutschland befinden, gilt abermals hiesiges Recht mit allen erwähnten Zugriffsmöglichkeiten durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte. Das Versteckspiel mit ausländischen Adressen wird meist sehr dilettantisch betrieben, weiß Vetter, und wenn diese Leute tatsächlich aus Deutschland heraus tätig sind, haben sie ein Problem – wegen der Foren- und Störerhaftung. Mit ihnen hätten dann auch die Eltern jugendlicher Schmierfinken ein Problem. Bei übler Nachrede oder Verleumdung lassen sich nicht nur strafrechtliche, sondern auch zivilrechtliche Ansprüche durchsetzen, etwa auf Unterlassung. Drei Zeilen auf einer Pöbelseite können zu vierstelligen Kosten führen.
Nach diesen Warnungen an Kinder und Eltern abschließend ein kleiner Trost: Erstens wissen Jugendliche nur zu gut, dass sie selbst das nächste Opfer werden können, wenn sie in der vermeintlichen Anonymität des Netzes gegen andere pöbeln. Zweitens: So belastend solche Angriffe aus dem Dunklen auch sein mögen, sollte man Souveränität und Gelassenheit zeigen. Das fällt der Elterngeneration schwer, weil sie in einer Kindheit und Jugend ohne Internet aufgewachsen ist. Nun gibt es Bedrohungen und Rechtsverletzungen in einem neuen Medium. Aber Konflikte und Auseinandersetzungen in der Schule hat es schon immer gegeben, und das wird auch so bleiben. Mit oder ohne Internet. Schulen waren noch nie eine heile Welt. Jedenfalls nicht für Schüler.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: Sonntag, Florian
Quelle: http://www.faz.net/s/Rub4C34FD0B1A7E46B88B0653D6358499FF/Doc~E874CBF8B30264CA08197E1FE4B33BC1B~ATpl~Ecommon~Scontent.html