Jugendschutz – Gerüchte und Lästereien sollten Schüler auf einer Internetseite veröffentlichen können. Diese machten davon reichlich Gebrauch. Inzwischen ist die Seite offline und der Staatsanwalt ermittelt.
Von Henrik Schmitz
„Schreib hier deine Neuigkeiten, Gerüchte und Lästereien rein und wähle oben eine Kategorie aus indem du auf sie klickst“, lud die Internetseite isharegossip.com („Ich teile Gerüchte“) ihre Nutzer bis vor kurzem ein. Und die machten davon reichlich Gebrauch. In übelster Weise wurden Mitschüler diffamiert; Ausdrücke wie „Hure“ oder „schwul“ gehörten eher noch zur harmloseren Art. Fotos wurden hochgeladen und einzelne Schüler regelrecht fertig gemacht. All das unter dem Deckmantel der Anonymität. Denn seinen echten Namen verriet bei isharegossip niemand, nicht einmal eine Registrierung war nötig. Einmal so richtig über andere herzuziehen, schulübergreifend und dauerhaft im Netz nachzulesen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, das war das Prinzip der Seite.
Eine Plattform also, die auf niederen Instinkten und der Feigheit der Nutzer basierte. „Auf der Seite wurden auch mal die gemobbt, die sonst nicht die Außenseiter sind“, verrät ein Schüler. Womöglich entlud sich auf isharegossip.com auch der ganze Frust derer, die im Klassenverbund sonst selbst die sind, die unter ihren Mitschülern leiden.
Mobbing durch Wettbewerb befeuert
Der Betreiber von isharegossip.com heizte das Mobbing offenbar noch an, indem er in einem Blog Werbung für seine Seite machte. Um „der Sache ein bisschen Feuer unterm Hintern“ zu machen, wurde ein „Wettbewerb“ ausgeschrieben. Schüler konnten sich freiwillig als Moderatoren für verschiedene Kategorien melden. Wer besonders viel „authentischen Inhalt“ lieferte, sollte mit bis zu 100 Euro belohnt werden. Wie man an diesen „authentischen Inhalt“ kommen sollte, wurde ebenfalls erklärt. „Je kontroverser ein Post ist, desto eher kommt ihr auf die Startseite und desto mehr Leute werden eurer Kategorie folgen“, hieß es. Eine andere Empfehlung lautete: „Es ist ratsam die Seite an Mädchen zu verschicken, da diese meist die größten Tratsch-Tanten sind.“
Inzwischen geht auf den Schulhöfen aber das große Zittern um. Seit die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt das Portal ins Visier genommen hat, fürchten Schüler, doch noch für ihre Beleidigungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Womöglich zu Recht: „Eine Beleidigung ist eine Straftat“, sagt der Frankfurter Staatsanwalt Günter Wittig. Wer sich im Internet bewegt, hinterlasse immer Spuren und sei daher auffindbar. Kernziel der Ermittlungen sei es aber, den Betreiber der Plattform zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen. Der Vorwurf: Anstiftung und Beihilfe zur Beleidigung. Bis zu ein Jahr Haft kann es dafür geben. Unangenehmer dürften aber zivilrechtliche Klagen werden. Saftige Geldstrafen drohen. Der Schaden, den das Mobbing bei den Opfern anrichtet, wäre aber selbst damit nur unzureichend ausgeglichen. Cybermobbing gilt in mehreren bekannt gewordenen Fällen als ursächlich für Selbstmorde bei Jugendlichen.
Wehrlose Opfer
Diese sind nahezu täglich online. Wer nicht bei Facebook, StudiVZ oder anderswo mitmischt, gehört nicht dazu. Das Ich im Internet ist stets präsent und damit potenziell der Gefahr ausgesetzt, rund um die Uhr gemobbt zu werden. Rückzugsräume gibt es kaum. Zudem überschreitet das Mobbing räumliche Grenzen. Während Schüler früher vor allem in ihren Klassen gemobbt wurden, ist es heute über Facebook relativ leicht, Schüler über Klassen- oder Schulgrenzen hinweg fertig zu machen. Die Opfer fühlen sich wehrlos, vor allem dann, wenn das Mobbing wie bei isharegossip.com anonym erfolgt und es kaum eine Möglichkeit gibt, Täter ausfindig zu machen und zu bestrafen.
Der Betreiber von isharegossip.com versteckt sich hinter dem Pseudonym Aaron G., die Inhalte werden nicht in Deutschland, sondern in den USA, auf einem sogenannten Server gespeichert. Im Impressum war eine Kontaktadresse in Neuseeland angegeben. Ausländische Server stellen Jugendschützer regelmäßig vor Probleme. Für wenige Dollar stellen etwa Unternehmen in verschiedenen Ländern Server zur Verfügung und verdecken dabei die Identität des Betreibers. Werden Straftaten, wie etwa Beleidigungen begangen, müssen die Ermittler in einem aufwändigen Verfahren die Behörden im Ausland um Hilfe bitten. Fehlt es den Ermittlern an Hartnäckigkeit, laufen die Ermittlungen oft ins Leere. Internetkriminelle fühlen sich dadurch ermutigt.
Und doch gibt es Hoffnung. Die Einrichtung jugendschutz.net etwa durchsucht das Internet nach für Jugendliche und Kinder problematische Seiten. Im Fall von isharegossip wurde die Seite an das Landeskriminalamt gemeldet. Gelingt es nicht, die Seiten aus dem Netz entfernen zu lassen, bemühen sich die Jugendschützer zumindest darum, die Auffindbarkeit einzuschränken. Bestimmte Seiten tauchen dann bei Suchmaschinen wie Google nicht mehr auf.
Hinweis auf Geschäftsbedingungen
Ein weiterer Angriffspunkt sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) der Server-Anbieter, wie auch Margit Ricarda Rolf von der Beratungsstelle Mobbing-Zentrale feststellt. In ihren AGBs legten die Serveranbieter in der Regel fest, dass keine Inhalte, die Persönlichkeits- oder Urheberrechte verletzten, auf ihren Servern hinterlegt werden dürften. Ein Hinweis auf einen solchen Verstoß gegen die AGBs könne dann dazu führen, dass eine Seite wie isharegossip.com vom Netz genommen werde. „Die Anbieter haben Angst vor hohen Schadenersatzklagen.“ Rolf zufolge wurde isharegossip abgeschaltet, weil ein Datenschutzbeauftragter einer deutschen Schule dem Provider in den USA telefonisch mitgeteilt hatte, dass zwei Fotos von Schülerinnen dort veröffentlicht worden waren. „Die Verletzung der Rechte am Bild sind auch in den USA teuer. Der Provider nahm die Seite daher sofort vom Netz.“
Tobias Huch, der eine IT-Firma in Mainz leitet und als Aktivist gegen Internetsperren eine gewisse Bekanntheit in der Internetszene genießt, führt die Abschaltung auch auf eine Art „Hackerangriff“ zurück. Nachdem er auf die Seite aufmerksam gemacht worden ist, habe er isharegossip.com gezielt mit unzähligen, sinnlosen Kommentaren „zugemüllt“, so dass die Server schließlich zusammengebrochen seien. Von diesem Zusammenbruch seien aber nicht nur die Inhalte von isharegossip.com betroffen gewesen, sondern auch die von anderen Seitenbetreibern, die auf demselben Server lagen. Huch vermutet, dass isharegossip.com dem Serveranbieter dadurch lästig geworden sei und man sich zur Abschaltung entschlossen habe. Auf der Seite läuft seither nur noch ein Video, in dem Arnold Schwarzenegger als Terminator sein „I`ll be back“ androht oder Gloria Gaynor ihr berühmtes „I will survive“ singt. In einem Blog kündigte der Betreiber an, isharegossip.com werde zu einem anderen Serveranbieter wechseln, der das Projekt „juristisch bis aufs Blut“ verteidigen werde.
Angriff durch Spam-Kommentare
Sollte dies tatsächlich passieren, werde sein Unternehmen einen erneuten Spam-Angriff starten, kündigt Huch an. Aber auch er geht davon aus, dass „Aaron G.“, der vermutlich aus Berlin stammt, bald gefunden sein wird und womöglich auch einige Nutzer der Seite „enttarnt“ werden. Anders als von isharegossip.com behauptet, seien auf der Seite nämlich die IP-Adressen sämtlicher Nutzer mitprotokolliert worden. „Sobald diese Daten vorliegen, kann man jeden einzelnen Kommentarschreiber identifizieren“, ist Huch sich sicher.
Die Schulen reagieren inzwischen mit Briefen an die Eltern auf die Seite. „Wir halten es für sehr hilfreich und wichtig, dass auch Sie mit Ihren Kindern über dieses Problem sprechen, um deutlich zu machen, wie moralisch verwerflich solch ein Handeln ist“, heißt es etwa in einem Schreiben der Albert-Einstein-Schule in Schwalbach bei Frankfurt. Die Lehrer würden den Schülern zudem klar machen, „wie unwürdig und feige es ist, Mitschüler auf diese Art zu kränken, und dass solch ein Versuch, sich auf Kosten anderer zu produzieren, kümmerlich ist. Darüber hinaus soll deutlich werden, dass das Posten solcher Mobbingbeiträge einen Straftatbestand darstellt.“
Schüler wehren sich
Ermutigend ist vielleicht auch, dass längst nicht alle Schüler bei isharegossip.com über andere herziehen und zur Selbsthilfe greifen. Um schlimme Kommentare löschen zu können, habe er sich selbst als Moderator bei isharegossip beworben, sagte ein 15-jähriger Schüler aus Frankfurt evangelisch.de. Über ihn selbst und Freunde sei auf dem Portal ebenfalls beleidigend geschrieben worden. Problematisch sei allerdings gewesen, dass isharegossip das Löschen von Kommentaren erschwere. „Alte Kommentare konnte man als Moderator gar nicht löschen und auch nur alle 60 Sekunden einen neuen Kommentar. Das war viel zu zeitaufwändig.“
Andere machen ihrem Unmut Luft, indem sie auf der Seite selbst kritische Kommentare verfassen. Die Seite zeuge nur von „Dummheit“, schrieb ein Schüler aus Berlin. Und ein anderer stellte fest, die Seite zeige nur zu gut, dass die meisten Jugendlichen sich nicht trauten, selbst zu einer Person zu gehen und ihr zu sagen, was sie von ihr hielten. „An unserer Schule machen wir es jetzt so, dass wir keine Gerüchte mehr auf der Seite verbreiten, sondern nur noch Sachen aus Wikipedia auf der Page posten oder den neuesten Gossip aus der Star-Welt. Macht es auch so und zieht die Funktionen der Seite ins Lächerliche – dann ist sie hoffentlich bald aus dem Netz… oder keine Sau interessiert sich mehr dafür!“
Ein Experteninterview zum Thema Mobbing finden Sie hier.
Quelle: http://www.evangelisch.de/themen/medien/kampf-gegen-mobbingseite-isharegossip-vorerst-erfolgreich32983