Junge Mobbing-Opfer leiden ein Leben lang – Welt

Psychologie
(25) Drucken Bewerten Autor: Stephanie Strehlow| 05.04.2011

Der tägliche Terror: Im Internet und in der Schule werden jede Woche Hunderttausende Jugendliche gemobbt. Sie kämpfen noch als Erwachsene mit den Folgen.

Pia* steht wieder einmal alleine auf dem Schulhof. Die siebte Klasse ist für sie ein Alptraum: Die Jungs aus ihrer Schulklasse in einem Gymnasium in Berlin-Charlottenburg hänseln sie ganz offensichtlich, die Mädchen tun das eher auf subtilere Art indem sie Pia vom Spielen ausschließen. Pia ist ein Opfer ihrer Mitschüler. Das Klassengespräch mit einem Schulpsychologen verbessert ihre Situation nur für eine Woche, danach gehen die Schikanen weiter.

Die 20-jährige spricht heute ganz offen über die Diskriminierung durch ihre Mitschüler: „Es war eine schwere Zeit, die meine Eltern und mich stark belastet hat. Letztendlich war ein Schulwechsel die einzige Lösung“. Im Fall von Pia blieb es bei verbaler Diskriminierung.

In Berlin erregte vor kurzem jeoch ein Mobbing-Übergriff Aufmerksamkeit, bei dem auch Gewalt zum Einsatz kam. Ein 17-jähriger Schüler wollte seine Freundin verteidigen, die auf der Internet-Seite isharegossip.com anhaltend beleidigt wurde. Er stellte die Verantwortlichen zur Rede – und wurde kurz darauf von 20 Jugendlichen bewusstlos geschlagen.

Politik sucht Schutz vor Hetzkampagnen im Internet

Das sogenannte Cyber-Mobbing wurde in den vergangenen Jahren zu einem anwachsenden Problem. Den Ergebnissen der Umfrage „EU-Kids online II“ zufolge, an der sich 25 Ländern beteiligten, geben zirka vier Prozent der deutschen Kinder an, regelmäßig im Internet diskriminiert zu werden. Damit liegt Deutschland im europaweiten Vergleich nur knapp unter dem Durchschnitt.

Der Fachbereich pädagogische Psychologie der TU Berlin führt momentan eine Studie durch, bei der erforscht wird wie jugendliche „Zuschauer“ – die weder Täter noch Opfer sind – mit dem Cyber-Mobbing umgehen. In mehreren Gruppeninterviews werden die Motive und Handlungsweisen aller Beteiligten an Online-Aggression herausgearbeitet. Aus den Ergebnissen sollen Hinweise für die Vorbeugung und Bekämpfung der virtuellen Gewalt erarbeitet werden.„Ziel der Untersuchung ist es herauszufinden, wie man Cyber-Mobbing tatsächlich reduzieren kann“, berichtet der Studienleiter Jan Pfetsch.

Das könnte auch einen Fortschritt für die Mobbing-Bekämpfung an deutschen Schulen bedeuten. Denn Cyber-Mobbing und Mobbing in der realen Welt hängen eng miteinander zusammen. „Fast 80 Prozent der Mobbingvorfälle im Internet finden zugleich auch im realen Leben, also in der Schule oder im Klassenzimmer statt“, betont Mechthild Schäfer, Psychologie-Dozentin an der LMU München.

Kein neues Phänomen

Wenn Sie sich an ihre eigene Schulzeit erinnern, fallen Ihnen sicherlich Mitschüler ein, die regelmäßig drangsaliert wurden. Mobbing hat es schon immer gegeben, neu ist nur der englische Name dafür. Die Entwicklungspsychologin Schäfer definiert den Begriff folgendermaßen: „In einer Klasse spricht man von Mobbing, wenn sich die Schikanen der Schüler über einen längeren Zeitraum auf eine einzige Person konzentrieren“. Nach dieser Definition gib es in Deutschland momentan rund 500.000 Kinder, die ein- oder mehrmals pro Woche gemobbt werden.

Sind Sie in der Schule auch Opfer von Mobbing gewesen?
Ja, durch andere Schüler Ja, durch den Lehrer Nein, ich hatte keine Probleme Nein, ich war selbst ziemlich fies
Ergebnis

In einer Schulklasse, in der Mobbing auftritt, ist fast die ganze Klasse daran beteiligt, nicht nur das Opfer und der Täter. Ein Drittel der Schüler gehört zur aggressiven Gruppe, die sich zu gleichen Anteilen aus Tätern, sowie ihren Assistenten und Verstärkern zusammensetzt. Während die Verstärker nur verbale Unterstützung leisten, also mitlachen oder sich ablehnend verhalten, sind Assistenten die, die auch selber körperlich aktiv werden.

Ungefähr ein weiteres Drittel der Klassengemeinschaft besteht aus Verteidigern, die das Opfer trösten oder den Lehrer zur Hilfe holen. Der verbleibende Rest der Schüler verhält sich so, als würden sie von alledem nichts mitbekommen. „Diese Gruppe nennen wir die Außenstehenden. Viele Jahre der Aggressionsforschung bestätigen, dass Kinder die passiv bleiben ungewollt das Mobbing verstärken. Denn alles, was die Täter nicht davon abhält weiterzumachen, signalisiert ihnen, dass ihr aggressives Verhalten akzeptiert wird“, resümiert Schäfer.

Jedes Kind kann Opfer von Mobbing werden

Nicht persönliche Merkmale wie eine Brille oder das Aussehen prädisponieren für die Opferrolle. Pia war ein hübsches und intelligentes Mädchen, trotzdem wurde sie zur Zielscheibe von Gemeinheiten. „Der Grund für das Mobbing ist vielmehr das Ungleichgewicht von Stärke und Macht, dass die Täter ausnutzen“,sagt Jo-Jacqueline Eckhardt, Psychotherapeutin und Mobbing-Beraterin.

Die Täter streben meist nach sozialer Dominanz in ihrer Klasse. „Sie sind gut darin, Meinungsbilder zu kreieren, denen der Großteil der Klasse zu folgen gewillt ist“, fügt Schäfer hinzu. Ein körperlich schwächerer Schüler kann aufgrund anderer Fähigkeiten in der Klasse hoch angesehen sein, während ein besonders intelligentes Kind in einer ungünstigen Klassenkonstellation leicht zum Opfer werden kann.

Letztendlich gilt: Jedes Kind kann ohne eigenes Verschulden Opfer von Mobbing werden – denn jeder hat bestimmte Eigenschaften, die jemand, der es darauf anlegt, gegen ihn verwenden kann.

Allen Vorurteilen zuwider gibt es auch keinen Zusammenhang zwischen den Schultypen und dem Auftreten von Mobbing. „Es gibt keine Evidenz dafür, dass in Hauptschulen mehr gemobbt wird als am Gymnasium“, hebt Schäfer hervor. Einzig die Art der Diskriminierung unterscheide sich: In Hauptschulen findet man mehr sichtbare und physische Aggression. An Gymnasien dagegen dominieren soziale Formen von Aggression wie z.B. bewusste Ausgrenzung.

Mobbing-Erfahrungen in der Schulzeit, egal ob verbal oder physisch, in der realen Welt oder im Internet, verfolgen die Opfer bis in das Erwachsenenleben. Der Entwicklungspsychologin Schäfer zufolge, haben Erwachsene, die früher schikaniert wurden, eine Art „Mini-Trauma“, dass ihre Lebensqualität und soziale Beziehungen beeinflusst. In einer Studie, die im “British Journal of Developmental Psychology“ veröffentlicht wurde, erforschten Schäfer und ihre Kollegen die langfristigen Auswirkungen von Mobbing. Demnach haben ehemalige Mobbing-Opfer eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, weniger Selbstvertrauen und Vertrauen in ihre Mitmenschen zu entwickeln. Dieses Risiko ist besonders hoch, wenn die Betroffenen nicht nur in der Grundschule, sondern auch in der Oberschule systematisch diskriminiert wurden.

Die erlebten Schikanen beeinflussen das Erwachsenenleben

„Mobbing hinterlässt einen Grauschleier auf sozialen Beziehungen. Die Betroffenen sind später genauso gut sozial integriert wie Nicht-Opfer, erleben also die gleiche Qualität in ihren Freundschaften und Beziehungen. Aber sie haben größere Schwierigkeiten als andere, diese Freundschaften aufrecht zu erhalten“, sagt Schäfer. Ein möglicher Grund dafür ist, dass die Betroffenen sich und andere aufgrund ihrer Erfahrungen negativer beurteilen – und infolgedessen ihre Bindungen ebenso.

Außerdem haben Mobbing-Opfer langfristige Probleme in ihren Beziehungen zu Gleichaltrigen. Oft haben sie eine hohe Skepsis gegenüber Personen desselben Alters, kommen aber mit Kindern oder alten Menschen sehr gut aus. Auch bei Pia haben die Erfahrungen aus der Oberschule Spuren hinterlassen. „Manchmal habe ich das Gefühl, anderen Leuten in meinem Alter nie richtig vertrauen zu können. Ich habe jetzt ein paar gute Freunde, aber die Zeit des Mobbings habe ich noch nicht vergessen.“

*Name von der Redaktion geändert

Literatur zum Thema: „Du Opfer – Wenn Kinder Kinder fertig machen“ von Mechthild Schäfer und Gabriela Herpell

Quelle: http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article12988955/Junge-Mobbing-Opfer-leiden-ein-Leben-lang.html

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Über Ricarda

Margit Ricarda Rolf - Gründerin und Leiterin der Mobbing-Zentrale mit mehr als 12.000 erfolgreich beendeten Mobbingfällen.
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