Dienstag, 15. März 2011 02:12 – Von Florentine Anders und Regina Köhler
Mit absoluter Anonymität wirbt die Internettplattform www.isharegossip.com (auf Deutsch: Ich teile Klatsch und Tratsch) und lädt so zum Lästern über Mitschüler ein. Eine Registrierung ist nicht nötig, um einen Eintrag abzusetzen.
Der Server befindet sich außerhalb Deutschlands. In den vergangenen Monaten hat die Internetseite bereits an vielen Schulen zu Diskussionen über das Phänomen Cyber-Mobbing geführt. Zahlreiche Anzeigen gegen Unbekannt sind bereits bei der Staatsanwaltschaft eingegangen, doch bisher ist es nicht gelungen, die Internetseite zu sperren.
Vorläufiger Höhepunkt des Netzterrors war die Amokandrohung für das Schadow-Gymnasium, die am Sonntag über das Portal verbreitet wurde. Aus pubertären Beschimpfungen wurde plötzlich eine unkalkulierbare Bedrohung für viele Schüler. Einige fanden den Eintrag lustig, andere reagierten erschrocken. Um 20.50 Uhr schrieb ein Schüler, dass er eine Mitteilung über den angekündigten Amoklauf an die Polizei geschickt habe. Dann diskutierten die Jugendlichen darüber, ob sie am nächsten Tag in die Schule gehen sollten oder nicht.
Die Besonderheit: Auf dieser Internetseite haben leistungsorientierte Gymnasien und Privatschulen die meisten Einträge. Schulen wie die Sophie-Scholl-Sekundarschule, das John-Lennon-Gymnasium, das Canisius-Kolleg Berlin, das Rosa-Luxemburg-Gymnasium oder das Gymnasium zum Grauen Kloster gehören zu den rund 100 Bildungseinrichtungen Berlins, deren Schüler sich auf der genannten Internetseite zu Wort melden.
Herbert Scheithauer vom Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie der Freien Universität Berlin sagt, dass Cyber-Mobbing eine spezielle Form von Gewalt ist, die alle Schulformen und Schüler betrifft. „Das Perfide daran ist, dass jeder rund um die Uhr betroffen sein kann und nicht weiß, wer die Informationen über ihn ins Netz gestellt hat.“ Cyber-Mobbing finde vor allem in Schulklassen statt, in denen ein schlechtes Klima herrscht, so Scheithauer, unabhängig davon, um welche Schule es sich handele. Es sei deshalb wichtig, über diese Form von Mobbing aufzuklären.
Zur Unterstützung der Schulen haben Scheithauer und sein Team im vergangenen Jahr das Programm „Medienhelden“ entwickelt, das Schüler für den Umgang mit den neuen Medien fit machen soll. „Es geht dabei auch um Zivilcourage und soziale Kompetenz“, so der Psychologe. Seit Beginn dieses Schuljahres sind seine Mitarbeiter sowie entsprechend ausgebildete Lehrer dabei, das Programm an verschiedenen Berliner Schulen zu installieren. Auch die Langzeitwirkung von „Medienhelden“ wollen sie untersuchen. Bisher sind etwa 800 Schüler im Alter von 13 bis 17 Jahren einbezogen. Ein- bis zweimal wöchentlich lernen sie, mit den neuen Medien umzugehen und soziale Netzwerke wie Facebook, schülerVZ oder myspace sinnvoll zu nutzen.
FU-Wissenschaftler Scheithauer plädiert dafür, die Schüler nicht nur über die technische Seite des Internets, sondern viel stärker auch über psychologisch-soziale Auswirkungen von Internetauftritten aufzuklären. Dafür biete sich jedes Fach an, vor allem aber der Ethikunterricht. Eltern rät er, sich eingehend darüber zu informieren, wie das Internet funktioniert und offen mit ihren Kindern darüber zu sprechen. „Vielen ist gar nicht bewusst, welche Auswirkungen Cyber-Mobbing auf die Opfern hat, welche Narben es hinterlassen kann“, sagt er.
Am Diesterweg-Gymnasium in Mitte hat Schulleiterin Brigitte Burchardt mit ihren Schüler erst kürzlich über diese Auswirkungen gesprochen. „Betroffen sind vor allem die Schüler der achten und neunten Klassen“, sagt sie. Schüler der Oberstufe hätten deshalb vor, mit ihren jüngeren Mitschülern über das Thema zu reden. „Die Schüler müssen begreifen, dass das kein Scherz mehr ist und derartige Beleidigungen kaum zurückgenommen werden können, wenn sie einmal im Netz stehen.“ Burchardt hat ihren Schülern außerdem strafrechtliche Konsequenzen angekündigt. Auch Rechtsanwältin Simone Pietsch rät Betroffenen, Cyber-Mobbing unbedingt anzuzeigen. „Ich halte die Internetseite ‚isharegossip.com‘ für verfassungswidrig“, sagt sie.
Kommentar: Wir haben den Arbeitskreis IShareGossip gegründet und helfen Betroffenen ganz konkret. Ich begrüße es, dass sich immer mehr Schulen, Eltern und Sozialpädagogen engagieren. Auch ich halte IShareGossip für eine kriminelle Vereinigung und damit für verfassungswidrig.