Virtuelles Mobbing
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Betreiber einer Internet-Seite, auf der Schüler beleidigt werden
Martin Klesmann, Sebastian Dörfler
Schüler werden nicht nur auf dem Schulhof beleidigt und verunglimpft. Schülermobbing findet zunehmend im Internet statt. Besondere Sorge bereitet Schulleitern derzeit die Website „isharegossip.com“, auf der jeder Schüler anonym über Mitschüler lästern kann. „Katrin aus der 9b ist die größte Schlampe der Schule“, heißt es da etwa über die Schülerin eines Gymnasiums im Berliner Norden. Als Kommentatoren getarnte Mitschüler geben anonym ein, dass die Schülerin schon mit mehreren Jungs der Schule geschlafen habe. Einer brüstet sich damit, Sex mit ihr gehabt zu haben. Dann meldet sich die Schülerin selbst im Netz und bezichtigt einen Mitschüler, die falschen Angaben ins Netz gestellt zu haben.
Am Wilmersdorfer Ebert-Gymnasium hat Schulleiter Ottmar Jüdes schon eine Informationsversammlung abgehalten, um seine Schüler vor der Internet-Seite zu warnen. Auch hier hatten Schüler zwischen 13 und 16 Jahren, also mitten in der Pubertät, Lästereien und Schmähungen auf der Internetseite platziert. Jetzt will man die zahlreichen Schulcomputer so einrichten, dass die Internet-Seite über den Schulserver nicht aufgerufen werden kann. „Daran basteln gerade unsere Informatiklehrer“, sagt Jüdes. Über die Internetseite wurde auch bei der jüngsten Schulleitersitzung gesprochen.
Seit Januar ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/ Main, zuständig für Internetkriminalität gegen den Betreiber der Website. Noch ist sein Name nicht bekannt. „Wir vermuten, dass es ein deutscher Staatsbürger ist“, sagt Staatsanwalt Alexander Badle. Ihm werde Anstiftung zur Beleidigung vorgeworfen. Dafür könne man bis zu einem Jahr Gefängnis erhalten. Gut 50 Anzeigen liegen der Staatsanwaltschaft bisher vor. Auch aus dem Umfeld des Steglitzer Fichtenberg-Gymnasiums gab es Anzeigen. Laut Staatsanwalt werde im Verdachtsfall selbst gegen einzelne Schüler wegen Beleidigung ermittelt, doch der Betreiber stehe im Mittelpunkt.
„Das Portal lädt förmlich dazu ein, sich in abwertender Form über andere zu äußern“, sagte der Staatsanwalt. Tatsächlich wird gleich auf der Startseite versprochen, dass man hier „100 Prozent anonym“ sei und man keine Nutzedaten speichere, „egal ob ein Polizist, ein Lehrer/Direktor oder ein Anwalt fragt“. Die Betreiber der Seite benutzen laut Staatsanwaltschaft wechselnde Server im Ausland, um ihre Seite zu betreiben. Im Interview mit einem Stadtmagazin, das in Frankfurt/ Main erscheint, äußert sich der Betreiber unter dem Pseudonym „Aaron G.“ scheinheilig; „Nicht die Seite ist schlimm.“ Der Nutzer mache sie zu dem, was sie ist.
„Oh, Gott“, so lautet mittlerweile die Reaktion einiger Schüler des John-Lennon-Gymnasiums in Mitte, wenn man sie auf die Seite anspricht. Erst vergangene Woche fand eine Informationsstunde zum Thema für die Jahrgänge 7 bis 11 statt, die Schulleitung zeigte einen Film über Mobbing. Die 17-jährige Jule ist immer noch beeindruckt. Wenn das so weitergeht, könnte noch jemand sterben, dachte sie danach als mögliche Folge von „isharegossip“. Sie selbst hat nicht mitkommentiert, aber gelesen, was geschrieben wurde. Vor allem von jüngeren Mitschülern. Der eine sei schwul, die andere trinke zu viel. Offensichtlich seien Kommentatoren zu feige, es den Personen direkt zu sagen, sagt ein jüngerer Mitschüler. Die Schule hat bereits den Zugang zu den Seiten sperren lassen – „aber die meisten haben das ja eh von zu Hause aus gemacht.“
Das weiß auch Schulleiter Jochen Pfeifer. Er sieht die Gefahr, dass sich seine Schüler auf Dinge einlassen, deren Folgen sie nicht überschauen können. „Früher schrieben sie „Max ist ein Idiot“ an die Wand. Heute schreiben sie Äußerungen ins Internet, die sie sonst niemals machen würden.“ Die Seite habe zudem eine andere Qualität als Internet-Seiten wie Facebook, denn die Schüler gäben die Kontrolle über ihre Äußerung dort völlig aus der Hand: „Auch der Täter wird dort zum Opfer, weil er seine Äußerung nicht mehr rückgängig machen kann.“ Selbst wenn er sie bereue.
„Auf jener Internet-Seite steht heute das, was früher auf die Toilettenwand gekritzelt wurde“, sagt Klaus Seifried vom Berufsverband Deutscher Psychologen. Er warnt Schüler davor, auf jede pubertäre Beleidigung sofort zu reagieren. Doch wer massiv beleidigt oder bedroht werden, sollte Anzeige erstatten. Die Polizei habe das Recht, vom Betreiber das betreffende Internetprotokoll zu erhalten. Wenn sich ein Schüler durch die Kommentare bedrückt fühle, sollte er sich zudem Lehrern, Eltern oder Mitschülern mitteilen, empfiehlt Schulpsychologe Seifried.
Quelle: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2011/0224/berlin/0022/index.html